„Dichter im Weinberg“ heißt das Landesliteraturtage-Projekt, bei dem Lyriker Wengertern über die Schulter schauen. Doch für Walle Sayer ging’s dabei in den Keller des Weinguts Bernhard Ellwanger in Weinstadt.
Sven Ellwanger erklärt, Walle Sayer kostet und nickt. So geht’s im Keller des Weingutes Bernhard Ellwanger von Edelstahltank zu Edelstahltank und von Holzfass zu Holzfass. Ein fruchtig-gäriger Geruch liegt in der kühlen Kellerluft. Dann und wann ist ein Blubbern aus den Gärspunden zu hören, mit denen die Fässer verschlossen sind. „Das ist jetzt ein Grauburgunder. Der gärt nicht mehr“, sagt Sven Ellwanger und füllt dem Dichter ein Schlückchen in ein Glas. „Das gibt einen kraftvollen, fülligen Wein.“ Sayer schwenkt den blutjungen Tropfen, der durch die Hefe noch etwas eingetrübt ist, aber schon in kräftigem Goldgelb schimmert im Glas, riecht, schmeckt und nickt anerkennend.
Der Dichter hat doch ein kundiges Näschen
Syrah, Spätburgunder, Lemberger, Riesling . . . Die Weinstudien der heranreifenden Rebensäfte in Ellwangers Keller sind für den Dichter aus Horb (Kreis Freudenstadt) umfangreich – und bieten manch Überraschung, etwa einen Blanc de Noir vom Trollinger. Noch unwissend, was Sven Ellwanger ihm dieses Mal kredenzt, entfährt Sayer allein beim erste Schnuppern ein staunendes „Ohh“. Der Dichter hat also doch ein feines, kundiges Näschen, wenn er sich auch sonst bescheiden gibt – „ich bin kein Fachmann“.
Auf jeden Fall ist er aber ein wissbegieriger Schüler und Sven Ellwanger, der den 1975 gegründeten Familienbetrieb in zweiter Generation gemeinsam mit seinem Vater Bernhard und seiner Schwester Yvonne führt, ein guter Lehrmeister. Kein Wunder, hat er doch nicht nur Weinbau und Kellerwirtschaft an der Hochschule Geisenheim studiert, sondern entstammt gewissermaßen einer Wengerterdynastie. Bereits vor rund 500 Jahren, berichtet Sven Ellwanger, habe sein Urururahn, Nicodemus Ellwanger, Weinreben kultiviert, wie ein erste Schriftstücke dazu aus dem Jahre 1514 bezeuge.
Notizen macht sich Walle Sayer während des Kellerrundgangs keine, konzentriert sich statt dessen ganz darauf mit allen Sinnen die Erfahrungen aufzusaugen. Da wird mit der Taschenlampe in die Öffnung eines Fasses geleuchtet und beobachtet, wie die von Sven Ellwanger zuvor vom Boden wieder aufgerührte Hefe in weißlichen Schleiern den jungen Wein durchzieht. „Die Hefe gibt dem Wein Fülle und Cremigkeit“, erklärt der Wengerter. Dann wird mit einem Ohr in ein anderes geöffnetes Fass gelauscht, dessen Inhalt nach einer Gärpause nun wieder Fahrt aufnimmt. Ein sanftes Bitzeln wie von Brause ist zu hören.
Schon erste Inspirationen für Gedichte gefunden? „Ich lasse es auf mich wirken“, antwortet Walle Sayer, „das muss sich erst setzen.“ Alle Gedanken und Erfahrungen behalte er sich im Kopf. Und dort reifen sie dann heran wie ein guter Wein? „Sozusagen“, antwortet Sayer. „Ich habe den Anspruch an meine Gedichte, dass sie eine Erkenntnis bringen.“ Eine Geschichte sollten sie erzählen, etwas Biographisches haben.
Die ersten Erfahrungen sind schon in Verse gefasst
So habe ihn bei seinem ersten Besuch zur Weinlese vor allem das gemeinsame Vespern zum Abschluss des Arbeitstages inspiriert. Die Gemeinschaft bei einem guten Wein im Glas habe ihn an ähnliche Erlebnisse mit Freunden erinnert und daran, dass ein Wein, je nachdem „wo, wie und mit wem man ihn trinkt“ immer anders schmecke. Daraus sei bereits ein erstes Gedicht entstanden (siehe „Degustation“).
Auch dieses Mal wird Sayer eine Schere in die Hände bekommen. Denn während der Saft der im Herbst gelesenen Trauben im Keller vor sich hin blubbert, müssen die Rebstöcke in den Weinbergen vor dem herannahenden Frühjahr für den nächsten Jahrgang in Form gebracht werden. Doch zuvor darf er noch dabei sein, wie Sven und Yvonne Ellwanger mit ihren geschulten Gaumen aufs Milliprozent genau die Mischung einer neuen Cuvée austüfteln.